Bonding und Bindungstypen: Eine sichere Eltern-Kind-Bindung aufbauen
Wahrscheinlich hat jedes Elternteil schon einmal etwas von Bindungstheorien und sicheren Bindungstypen gehört und sich gefragt, ob die Bindung zum eigenen Kind stark genug und gesund ist. Ich bin kein Fan davon, sich permanent an Theorien zu orientieren, aber trotzdem ist das Thema äußerst interessant. Vorweg möchte ich sagen, dass ich der festen Überzeugung bin, dass jede Mutter und jeder Vater intuitiv das Richtige tut, um eine sichere Bindung zum Baby aufzubauen, wenn man sich nicht von der Gesellschaft, veralteter Literatur oder ständigem Vergleichen mit anderen Kindern und Eltern beeinflussen lässt (Letzteres bemerke ich so häufig, was bis zu einem gewissen Grad auch normal ist – auch ich habe mich schon dabei ertappt – aber es ist absolut der falsche Weg und es führt nur zu Unsicherheit und oftmals falschem Handeln).
So wichtig ist eine sichere Bindung zwischen Eltern und Kind für die Entwicklung
„Die Eindrücke der Kindheit wurzeln am tiefsten.“
Karl Emil Franzos
Im besten Fall hat jeder Mensch Bindungsbeziehungen – das sind also Beziehungen zu jenen Personen, nach denen wir uns sehnen, wenn wir alleine sind, Hilfe benötigen, krank sind oder zu denen wir uns permanent verbunden fühlen, auch wenn sie nicht in unsere Nähe sind. Kurz gesagt unser sicherer Hafen.
Babys haben viele Bedürfnisse: Schlafen, Essen, ein Dach über dem Kopf. Das wichtigste Bedürfnis von Geburt an ist jedoch Nähe und die Bindung zu einem Menschen, der ihnen Sicherheit und Schutz bietet.
Die Bindungstheorien und Bindungstypen nach John Bowlby
Die Bindungstheorien nach Bowlby entstanden nach Forschungen im 20. Jahrhundert, als John Bowlby die Auswirkung von Mutter-Kind-Trennungen auf die kindliche Psyche erforschte. Laut Bowlby besteht zwischen Elternteil und Kind ein unsichtbares Band, das eine wichtige und grundlegende Bedeutung auf die Entwicklung des Kindes hat. Er beobachtete Familienbeziehungen, deren Einfluss und knüpfte an die Psychoanalyse an, die besagt, dass häufig psychische Störungen im Erwachsenenalter den Ursprung aus dem Familienleben haben.
Sichere Bindung des Babys als stabiles Fundament für das Erwachsenwerden
Schon direkt nach der Geburt sorgt die Natur dafür, dass das Baby an die Eltern gebunden wird. So wirkt sich das Kindchenschema beispielsweise schon zu Beginn aus und bindet uns an unsere Babys, indem es in uns Eltern Fürsorge und Faszinaton auslöst. Im ersten Lebensjahr entwickelt sich dann eine emotionale Beziehung zu den Eltern – das Baby tut dies, indem es schreit, Nähe einfordert, anhänglich ist oder nicht alleine sein will.
Bindung als wichtigstes Bedürfnis
Das Baby fordert also eine fürsorgliche Person ein, die sich um es kümmert. Babys brauchen emotionale Sicherheit, Geborgenheit und liebevolle Fürsorge: Eine Mutter oder Vater, die/der es blind versteht, schnell auf seine Bedürfnisse eingehen kann und Vertrauen schafft. Die Basis einer sicheren Bindung zum Baby. Weint das Kind, haben wir Erwachsene grundsätzlich eine Intuition, auf das Kind einzugehen – sanft zuzusprechen, zu wiegen oder eng zu kuscheln.
Leider hört man viel zu oft, dass Babys „verwöhnt werden“ oder sich an diese Zustände „gewöhnen“ werden. Das ist definitiv nicht wahr – Babys können im ersten Lebensjahr nicht verwöhnt werden. Das wird euch jede moderne und kompetente Hebamme auch genau so im Wochenbett vermitteln.
Balance zwischen Bindung und Exploration
Hat euer Baby eine sichere Bindung zu euch, wird es euch in „bindungsrelevanten“ Momenten einfordern und sich an euch richten. Je sicherer das Kind gebunden ist, desto mehr erkundet es die Welt („Explorationsverhalten„), ist neugierig und gibt sich dem Spiel hin. Ist das Kind in einer Belastungssituation, ist das Erkundungsverhalten des Babys gering, das „Bindungsverhalten“ (schreien, weinen, quengeln und damit die Bindungsperson einfordern) aber erhöht: Es braucht euch. Fühlt sich das Kind wohl, ist es andersrum: Das Kind geht auf Erkundungstour, das Bindungsverhalten ist gering. Bowlby beschreibt die sichere Bindung als eine der Grundlage für psychische Gesundheit im Erwachsenenalter.
Die 4 Bindungstypen und ihre Anzeichen
Es gibt verschiedene Anzeichen, an denen man die Art der Bindung schon bei kleinen Babys erkennen kann. Mary Ainsworth unterteilte dabei in 4 Bindungstypen, die klare Verhaltensweisen zeigen. Unsere kindliche Bindungserfahrung prägt uns ein Leben lang und zeigt sich im Erwachsenenalter häufig, wenn wir Beziehungen eingehen.
Typ A: Unsicher-vermeidende Bindungstyp
Bei häufiger Abwesenheit der Bindungsperson, ignorantes Verhalten, nicht Eingehen auf Bedürfnisse oder Maßnahmen wie ‚Schlaftrainings‘ oder Quengeln lassen kann sich eine unsicher-vermeidende Bindung entwickeln. Bindungsperson empfinden das Verhalten des Babys häufig als ‚trotzig‘ oder sind der Meinung, das Baby ‚möchte sie ärgern wollen‘.
Die unsicher-vermeidende Bindung zeigt sich dadurch, dass kaum Bindungsverhalten vorhanden ist. Das Bedeutet, dass das Explorationsverhalten deutlich überwiegt und das Bindungsverhalten kaum ausgeprägt ist. Das Kind zeigt bei Trennung der Bindungsperson kaum Verhaltensweisen und beschäftigt sich unbekümmert von der Situation einfach weiter. Selbst wenn die Bindungsperson zurückkehrt, zeigen diese Bindungstypen kaum emotionalle Reaktionen und neigen eher zu Ignoranz.
Oftmals falsch interpretiert
Dieser Bindungstyp wird häufig als „entspannt“ oder „pflegeleicht“ wahrgenommen, hat aber in Wirklichkeit Defizite, Gefühle bzw. Emotionen zu zeigen. Denn diese Kinder leiden sehr wohl Stress unter der Trennung – nur nimmt bei diesen Typen der Stresspegel nicht ab, wenn die Bindungspersön zurückkehrt. Unsicher-vermeidend gebundene Kinder haben die Erfahrung gemacht, dass in Notsituation keine Hilfe von der Bindungsperson zu erwarten ist und so gewöhnen sie sich ab, erst um Hilfe zu bitten. Ganz typisch und passend sind hier die sogenannten „Schlaftrainings“, bei denen das Kind schreiend alleine gelassen wird, damit es „lernt“ alleine einzuschlafen – in Wirklichkeit hat das Kind aufgegeben, weil es weiß, dass die Bindungsperson nicht hilft.
Unsicher-vermeidende Bindungstypen als Erwachsene
Unsicher-vermeidende gebundene Erwachsene haben meist negative Sichtweisen und vermeiden häufig sensible, tiefgreifende oder emotionale Themen, die sie berühren. Sie haben früh Erfahrungen von Zurückweisung erlebt, menschliche Nähe kann ihnen Angst machen. Gleichzeitig halten sie sich jedoch für unabhängig und stark, verallgemeinern häufig ihre Kindheit und haben wenig Erinnerungen. Bei diesem Bindungstypen treten Depressionen und Bindungsängste häufiger auf.
Typ B: Sicherer Bindungstyp
Ist die Bindungsperson fürsorglich, liebevoll und geht sie besonders sensibel auf die Bedürfnisse des Kindes ein (z.B. durch Stillen nach Bedarf, viel Körperkontakt usw.), besteht meist eine sichere Bindung zum Baby.
Bei sicher gebundenen Kindern ist das Explorations- und Bindungsverhalten im Vergleich zu Typ A wechselhaft zu beobachten. Findet eine Trennung zwischen Bindungsperson und Kind statt, zeigt das Kind Bindungsverhalten durch Emotionen – etwa durch Weinen oder Schreien. Sie zeigen also ihre Gefühle und können diese frei ausdrücken. Kehrt die Bindungsperson zurück, lassen sie sich von ihr trösten und suchen aktiv ihre Nähe. Der Stresspegel nimmt sofort ab, sobald die Trennung vorüber ist und trauen sie sich wieder Explorationsverhalten zu zeigen und spielen weiter, sind meist neugierig und offen für Neues.
Sichere Bindungstypen als Erwachsene
Sicher gebundene Erwachsene haben selten Probleme mit Nähe und Intimität. Sie können über Gefühle und Emotionen sprechen und diese problemlos zum Ausdruck bringen. In Partnerschaften geben sie häufiger Zufriedenheit an. Dieser Bindungstyp ist empathisch, kann Konflikte flexibel lösen, ist anpassungsfähig und hat weniger Verlustängste als andere Typen.
Typ C: Unsicher ambivalenter Bindungstyp
Verhält sich die Bindungsperson im Wechsel zwischen Nähe/Liebe und Zurückweisung oder Genervtsein, kann eine unsicher-ambivalente Bindung entstehen. Das Kind lernt dadurch, sich Aufmerksamkeit durch Weinen bzw. Schreien zu ‚erkämpfen‘.
Kinder, die unsicher ambivalent gebunden sind, reagieren bei einer Trennung besonders heftig: Sie schreien, weinen, rennen zur Tür oder werfen sich auf den Boden. Das Bindungsverhalten ist bei diesen Typen deutlich stärker ausgeprägt als das Explorationsverhalten. Selbst bei Rückkehr der Bindungsperson können sich diese Bindungstypen kaum beruhigen oder trösten lassen – sie zeigen sehr oft sogar Wut und Ärger. Sie sind also hin- und hergerissen zwischen Nähe und Distanz. Der Stresspegel ist auch hier wie bei Typ A länger erhöht.
Unsicher ambivalente Bindungstypen als Erwachsene
Diese Bindungstypen tendieren zu einer negativen Sichtweise und sind häufig ängstlich, eine Bindung zu verlieren. Noch immer zeigt sich eine Widersprüchlichkeit – sie sind oftmals verstrickt in früheren Beziehungen und schwanken zwischen Bleiben und Gehen. Gleichzeitig haben sie große Trennungsangst. Oft haben sie zusätzlich Probleme Gefühle zu sortieren und einzuordnen.
Typ D: Desorganisierter Bindungstyp
Der desorganisierte Bindungstyp zeigt häufig bizarre Verhaltensweisen. Zum Beispiel üben diese Kinder immer wiederkehrende Bewegungen aus und zeigen keine Gefühle. Das hat häufig in widersprüchligen Erfahrungen mit ihrer Bindungsperson ihren Ursprung. Sie fühlen sich zum einen sicher bei ihrer Bindungsperson, zum anderen können sie aber auch Angst vor ihr haben. Der Stresspegel diese Kinder ist sogar dauerhaft erhöht. Sie sind innerlich zerrissen – einerseits lieben sie die Bindungsperson und suchen Schutz, andererseits haben sie Angst vor ihr.
Desorganisierte Bindungstyp als Erwachsene
Dieser Bindungstyp ist der unglücklichste. Sie sind häufig unzufrieden, haben große Probleme und neigen stark zu Depressionen. Oftmals geschehen hier auch Wiederholungen von Gewalterfahrungen aus der Kindheit.
Über die Resilienz
Bindung gilt als eine der Säulen der Resilienz. Resilienz ist ein Begriff aus der Psychologie und beschreibt etwa die „psychische Widerstandsfähigkeit“ oder auch die Fähigkeit, sich Bewältigungsstrategien anzueignen, Probleme lösen zu können, mit Stress umzugehen, Krisen zu meistern oder nach dem Scheitern wieder aufzustehen. Eine sichere Bindung zu den Eltern ist der erste Grundstein, eine gesunde Resilienz zu entwickeln. Durch liebevolle Zuwendung, die das Urvertrauen und die Bindung stärkt, kann die Resilienz gefördert werden.